16. August 2014 | Politik

Die Freihandelsabkommen TTIP und CETA

Vertraglicher Investitionsschutz versus Souveränität der Bürger und Völker

von Karl Albrecht Schachtschneider

Die Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP, das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA), und das Comprehensive Economic and Trade Agreement, CETA, das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, stehen vor dem Abschluß. Beide sind umstritten und werden in den Medien heftig diskutiert. Die multinationalen Unternehmen und die mit internationalen Streitigkeiten befaßten Anwälte drängen, die Abkommen schnellstmöglich zu schließen, die Ersteren, weil die Deregulierungen der Abkommen ihre Geschäftsmöglichkeiten erweitern, die Zweiteren, weil das einträgliche Mandate mit sich bringt. Die Auseinandersetzungen haben äußerst hohe Geschäftswerte. Breite Bevölkerungskreise lehnen die Abkommen, zumal das TTIP, aus Sorge um Umweltschutz und Gesundheit ab. Auch die staatliche Daseinsvorsorge droht Kritikern weiter in den Sog der Privatisierung zu geraten, regelmäßig eine Verschlechterung und Verteuerung der Leistungen. Weiterhin könnte der Druck auf die Hochschulen einschließlich der Universitäten, sich dem Geschäft zu öffnen, zunehmen. Das würde den Verfall des wissenschaftlichen Niveaus beschleunigen. Die breite Privatisierung und die Bachelorisierung von Studiengängen haben außerordentlichen Schaden angerichtet. Aber es gibt auch viele Bürger, die um Demokratie und Rechtsstaat besorgt sind. Aus diesem hochkomplexen Fragenkreis möchte ich im Wesentlichen den vertraglichen Investitionsschutz ansprechen, der mit der Souveränität der Bürger und Völker unvereinbar ist.

Der Schiedsspruch, der in diesen Tagen die Russische Föderation zu einer Schadensersatzzahlung von mehr als 50 Milliarden Dollar an die Holding GML, die aus der Menatep-Gruppe hervorging, der der Ölkonzern Yukos mehrheitlich gehörte, wirft ein grelles Licht auf die Problemlage. Die zweifelhafte Rechtsgrundlage dieses Schiedsspruchs ist ein anderes Abkommen, nämlich die Energiecharta von 1994, die aber auch einen Investitionsschutz vorsieht, wie er ähnlich in den neuen Freihandelsabkommen vereinbart werden soll. Die Duma hat diese Charta nicht ratifiziert. Rußland hat sie aber angewandt. Leonid Newslin, ein in Russland geborener Israeli, könnte am meisten von der Entscheidung des Schiedsgerichts profitieren, da er mit etwa 70 Prozent der Hauptanteilseigner von GML ist. Der frühere Eigner von Yukos war der in Rußland verurteilte Straftäter Michail Chodorkowski, gegen den die Maßnahmen getroffen wurden, die zu dem Schiedsspruch geführt haben. Er soll Leonid Newslin seine Anteile an Yukos übertragen haben, falls dieser die Anteile nicht von vornherein für Newslin gehalten hat, etwa in einer Art verdeckter Treuhandschaft. Ich kann auf diesen Fall nicht näher eingehen, weil mir die der Entscheidung zugrundeliegenden Tatsachen nicht hinreichend bekannt sind, möchte aber darauf hinweisen, daß Chodorkowski das Ölunternehmen in einer chaotischen Zeit Rußlands, mit Mitteln, deren Herkunft undurchsichtig waren und mit fragwürdigen Geschäftsgebaren an sich gebracht hat. Er hat dem russischen Volk einen wichtigen Teil des Volkseigentums abgenommen, ein Geschäft, was ihm zu unermesslichem Reichtum verholfen hat, ohne daß eine besondere unternehmerische Leistung erkennbar gewesen wäre. Es ist mehr als fragwürdig, wenn die Bodenschätze eines Landes in der Weise privatisiert oder gar internationalisiert werden. Der russische Staat unter Wladimir Putin hat das Öl in die Hand Rußlands zurückgeholt, ob rechtmäßig oder nicht, ist eine Frage, die Rußland entscheiden muß und entschieden hat. Keinesfalls ist das eine Frage für ein internationales Schiedsgericht.

Die genauen Regelungen der neuen Freihandelsabkommen sind noch nicht bekannt. Die Verhandlungen sind zum einen noch nicht abgeschlossen und zum anderen vertraulich. Bereits diese Vertraulichkeit ist mit demokratischen Prinzipien unvereinbar. Die Bürger müssen über derart wichtige Verträge, mit denen sie lange Zeit werden leben müssen, rechtzeitig informiert sein, bevor diese geschlossen sind. Sonst können sie an der politischen Willensbildung, die ihre Sache ist, schlechterdings nicht wirksam teilnehmen. Nach dem Abschluß der schwierigen Verhandlungen ist eine Änderung der Vertragstexte praktisch ausgeschlossen. Die Verhandlungen führt nach Art. 207 Abs. 3 Unterabs. 1 AEUV die Kommission der EU, die der Rat der EU dazu ermächtigt hat. Das Europäische Parlament (EP) wird von dem Stand der Verhandlungen durch die Kommission lediglich informiert. Grundsätzlich beschließt der Rat über den Abschluß der Abkommen mit qualifizierter Mehrheit. Die Abkommen bedürfen der Zustimmung des EP allenfalls nach Art 207 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 218 Abs. 6 AEUV, soweit diese den Bereich des Verkehrs betreffen. Ob die Abkommen derartige Regelungen enthalten, ist mir nicht bekannt, im Zweifel nicht. Im Klartext: Kein Parlament muß den Abkommen zustimmen. Die nationalen Parlamente sind nicht in das Verfahren einbezogen, weil die Mitgliedstaaten die Verträge nicht schließen. Sie haben diese nur zu beachten und danach zu leben. Die Union hat nach Art. 3 Abs. 1 lit e die ausschließliche Zuständigkeit für die „gemeinsame Handelspolitik“, eine schwere Mißachtung der Souveränität der Völker, zumal mittels der Freihandelsabkommen die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten weitgehend festgelegt wird, also deren Wirtschaftshoheit wesentlich, vor allem durch den Investitionsschutz, eingeschränkt wird. Eine allgemeine Befugnis zur Wirtschaftspolitik hat die Union gerade nicht, sondern nach Art. 5 Abs. 1 AEUV nur die zur Koordination, die allerdings dem Rat erlaubt, „Grundzüge dieser Politik“ zu beschließen, die sehr eng sein können und der „multilateralen Überwachung“ mit der Befugnis der Kommission zur „Verwarnung“ unterliegen, also verbindlich sind. Der einzelne Mitgliedstaat, etwa Deutschland, kann bei dem Beschluß des Rates über die Handelsabkommen sogar überstimmt werden. Eine solche Entmachtung eines global ausgerichteten Wirtschaftsstaates ist nicht hinnehmbar.

Der Investitionsschutz der Freihandelsabkommen wird sich nach allgemeiner Erwartung an dem des North American Free Trade Agreement, NAFTA, dem Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko, orientieren. Einschlägig ist das Kapitel 11 dieses Abkommens. Es enthält nur denkbar offene, weitreichende formulierte Verpflichtungen, deren Bedeutungsgehalt sich durch die amerikanische Rechtspraxis erschließt. Das kann ich hier nicht im Einzelnen darlegen. Der wesentliche Aspekt ist die Verbindlichkeit der welthandelsrechtlichen Grundprinzipien.

Die Grundprinzipien der Welthandelsordnung (WTO), vor allem des GATT, das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, sind, außer den Zollregelungen und der Zusicherung von Schutz und Sicherheit, das der Inländergleichbehandlung (vgl. Art. 1002 NAFTA) und das der Meistbegünstigung (vgl. Art. 1003 NAFTA), zusammengefaßt das Diskriminierungsverbot der Unternehmen des Vertragspartners, sowie Fairness und Gerechtigkeit, Schutz und Sicherheit, aber auch Achtung des internationalen Rechts (vgl. Art. 1005 NAFTA: „international law, including fair and equitable treatment and full protection and security“). Zudem müssen die staatlichen Verfahren fair, also rechtsstaatlich (due process before an impartial tribunal) sein. Diese Prinzipien sind äußerst weitreichend und ermöglichen eine Unmenge von Verstößen durch staatliches Handeln. Inländergleichbehandlung rechtfertigt Vergleiche mit jedwedem Gesetz und jedweder Verwaltungsmaßnahme, Meistbegünstigung den Vergleich mit jedweder Handlung gegenüber anderen Staaten. Offener als Gleichbehandlung, Fairness und Gerechtigkeit können Rechtsbegriffe nicht sein. Diese Begriffe sind denkbar wenig bestimmt, ja unbestimmt, und eignen sich darum nicht für die Handhabung durch Gerichte und schon gar nicht durch anwaltliche Schiedsgerichte. Der Rechtsstaat verlangt nach hinreichender Bestimmtheit der Rechtssätze, um den Richter zu binden und die Parteien vor richterlicher Willkür zu schützen. Aber die Freihandelsabkommen institutionalisieren ausgerechnet Schiedsgerichte: Art. 1106 Abs. 1 NAFTA: “An investor of a Party may submit to arbitration (Schiedsspruch) under this Section a claim that another Party has breached an obligation under… and that the investor has incurred loss or damage by reason of, or arising out of, that breach“. Das läßt einen Schadensersatzanspruch erwarten, ohne daß dieser im NAFTA expliziert wäre. Im Zweifel sind die Verstöße gegen die skizzierten Vertragspflichten zugleich enteignungsgleiche Eingriffe in das Eigentum an den Investitionen und damit schadensersatzpflichtig. Wie das TTIP und das CETA das regeln werden, bleibt mit Bangen abzuwarten. Das Besondere der Investitionsschutzabkommen sind die Schadensersatzansprüche der Investoren wegen Enteignungen der Investitionen oder wegen enteignungsgleicher Eingriffe in diese, die nicht vom Gemeinwohl gefordert sind. Die Schäden an den Investments sind marktgerecht auszugleichen. Es heißt in Art. 1110 des NAFTA:

“No Party may directly or indirectly nationalize or expropriate an investment of an investor of another Party in its territory or take a measure tantamount to nationalization or expropriation of such an investment („expropriation“), except: (a) for a public purpose; (b) on a non-discriminatory basis; (c) in accordance with due process of law and Article 1105(1); and (d) on payment of compensation in accordance with paragraphs 2 through 6”.

Die USA, bekanntlich das Land mit den meisten Auslandsinvestitionen, haben seit langem ein starkes Interesse an dem Schutz vor Nationalisierung, Enteignung oder enteignungsgleichen Eingriffen in die Investitionen. Ein Investitionsschutz rundet ihr Dollarimperium ab. Gänzlich offen ist der Begriff Enteignung, „expropriation”: Jede Beeinträchtigung des Eigentums, also des Investments, die dessen Wert mindert, wird von den Schiedsgerichten als Enteignung praktiziert, nämlich als „measure tantamount to nationalization or expropriation”, Maßnahmen, welche einer Nationalisierung oder Enteignung gleichbedeutend sind, in etwa der deutsche Begriff des enteignungsgleichen Eingriffs. Ein solcher Begriff erlaubt es, jedwede politische Maßnahme des Gesetzgebers, der Verwaltung, der Gerichte als Enteignung oder enteignungsgleich einzustufen, wenn diese wirtschaftliche Nachteile mit sich bringt. Wegen der Formalität des Eigentumsbegriffs, nämlich mit seinen Sachen „nach Belieben verfahren“ und „andere von der Einwirkung ausschließen“ zu dürfen, hat jede staatliche Maßnahme Wirkung auf das Eigentum, nämlich auf das Handeln der Eigentümer, jede unternehmensrechtliche, jede wettbewerbsrechtliche, jede umweltrechtliche, jede arbeitsrechtliche, jede mietrechtliche, jede familienrechtliche usw. Regelung.

Der Schadensersatzanspruch des ausländischen Investors hängt nur noch davon ab, ob die Maßnahme durch das Gemeinwohl gefordert ist. Das entscheiden die Schiedsgerichte, nicht anders als der Europäische Gerichtshof über die Rechtfertigung von Beschränkungen der Wirtschaftsfreiheiten des Binnenmarktes durch Maßnahmen im Allgemeininteresse. Wer die Entscheidungsbefugnis über die Verwirklichung offener oder gar formaler Tatbestandsmerkmale, wie das des Gemeinwohls oder gar der Gerechtigkeit, hat, materialisiert mit seiner Rechtsanwendung die Begriffe und damit die Rechtslage für Investor und Staat; denn er setzt die Maßstäbe für die Fallentscheidung. Die Richter oder Schiedsrichter werden funktional zum Gesetzgeber. Das Gemeinwohl zu bestimmen ist der Kern der Freiheit der Bürger, deren Souveränität. Das ist der Grund des demokratischen Prinzips, der politischen Form der allgemeinen Freiheit. Das Bundesverfassungsgericht überläßt dem Gesetzgeber, das Gemeinwohl zu bestimmen, zu Recht. Es wäre mit der Gewaltenteilung und dem demokratischen Prinzip schlechterdings unvereinbar, wenn das Gericht seine Auffassung von dem Gemeinwohl in einer bestimmten Politik an die Stelle der des Gesetzgebers setzen würde. Es wäre der eigentliche Gesetzgeber. Gemeinwohlbestimmung ist Politik an und für sich. Der Rechtsstaat hat insoweit ein fein austariertes System entwickelt. Darüber soll aber im Investitionsschutzstreit ein Schiedsgericht entscheiden. Das ist ein Rückfall tief in die Zeit des monarchischen Absolutismus, nur jetzt tritt ein wirtschaftlich interessiertes Gremium an die Stelle des Alleinherrschers, das man Gericht nennt. Dem Schiedsgericht fehlen aber alle Merkmale eines Gerichts. Es ist schlicht ein Streitbeilegungsgremium, dem Schlichtungsverfahren übertragen werden können, nicht aber verbindliche Entscheidungen.

Die offenen Rechtsbegriffe stehen im übrigen auch nur deswegen in den Abkommen der WTO und sind in völkerrechtlichen Verträgen tragfähig, weil deren Streitschlichtungsverfahren grundsätzlich nicht zur Vollstreckung von Handlungspflichten der Staaten als den Parteien führen, schon gar nicht zu Schadensersatzansprüchen. Wesentlich ist, daß völkerrechtliche Verträge üblicherweise und grundsätzlich zu Recht keine subjektiven Rechte, Ansprüche, von Nichtstaaten, etwa von Unternehmern, begründen. Diese pauschalen Begriffe sind keine verwaltungsrechtlichen Begriffe, die mit Schadensersatzsanktionen bewährt sind und sein können und dementsprechend hinreichend bestimmt sein müssen. Wenn die Staaten die Verträge mit anderen Staaten verletzen, gibt es keine durchgreifende Vollstreckung. Das verbietet das um des Friedens willen grundlegende Gewaltverbot (Art. 2 der UNO-Charta). Nur Retorsionen (Zwangsmaßnahmen im Rahmen des Rechts, etwa Einfuhrverbote für begrenzte Zeit, keinesfalls Gewalt) und in engen Grenzen Retaliationen (Vergeltungsmaßnahmen) der Staaten als Streitparteien kommen in Betracht, die vornehmlich Sache der Diplomatie sind und gegebenenfalls der Entscheidung durch die Streitschlichtungsstellen, des Dispute Settlement Body (DSB), der Panel, bedürfen. Über Kompensationen zum Schadensausgleich müssen sich die Parteien, die Staaten, verständigen. Unternehmen setzen dagegen ihre Ansprüche ohne jede Rücksicht auf das Verhältnis der Staaten zueinander durch und nehmen damit einen Einfluß auf das staatliche Handeln, der ihnen keinesfalls zusteht. Wie die unmittelbare Anwendung des Unionsrechts, auf das sich mit subjektiven Rechten jeder Unionsbürger berufen kann, ein Umsturz des Europäischen Gerichtshofs bereits 1963 war, machen die Investitionsschutzabkommen aus den Vertragsstaaten gewissermaßen, freilich in Grenzen, einen gemeinsamen Staat, allerdings mit einem Rechtsschutzsystem, das gegen alle Staats- und Rechtsprinzipien krass verstößt. Das ist wohl auch bezweckt. Diese Abkommen sind auch ein Schritt zur einen Welt, zur globalen pax americana.

Die Schiedsgerichte (Investor-State Dispute Settlement, ISDS) sind keine Gerichte im rechtsstaatlichen Sinne. Sie können keinen Rechtsschutz leisten. Rechtsschutz ist Staatsschutz. Die Schiedsgerichte werden für jedes Verfahren neu gebildet. Sie sind mit drei Anwälten besetzt, von denen je einer von den Streitparteien benannt und der Vorsitzende vom internationalen Zentrum für die Schlichtung von Investitionsstreitigkeiten (ICTSD, der Weltbank zugeordnet) oder vom Zentrum der Vereinten Nationen für internationales Handelsrecht (UNCITRAL) gestellt wird. Die Schiedsgerichte sind somit keine ständigen Gerichte. Den Richtern fehlt dadurch die richterliche Unabhängigkeit. Sie bekommen ein hohes Honorar, das ihr Interesse weckt, wieder benannt zu werden. Außerdem steht ihre Anwaltstätigkeit der Unabhängigkeit entgegen. Sie sind in ähnlichen Streitfällen als Anwälte tätig und ständig an Aufträgen interessiert, die von einer der Parteien kommen können, aber auch von anderen Unternehmen oder Staaten, die ihre Tätigkeit als Schiedsrichter daraufhin beobachten. Sie sind geborene Interessenvertreter und bleiben es auch als Schiedsrichter. Verhandlung von Interessen und Erkenntnis von Recht, die eigentliche Aufgabe eines Richters, sind geradezu ein Gegensatz. Die Verfahren sind grundsätzlich nicht öffentlich. Das ist mit rechtsstaatlicher Rechtsprechung gänzlich unvereinbar. Was die Öffentlichkeit scheut, ist des Rechts nicht fähig (Immanuel Kant). Die Entscheidungen können nur von einem Gericht des Landes, in dem das Schiedsgericht getagt hat, auf begrenzte Rechtsverstöße hin, abgesehen von Formalia meist nur den Verstoß gegen den ordre public (Grundlagen der öffentlichen Ordnung) überprüft werden, wie das bei Schiedssprüchen üblich ist (vgl. etwa § 1059 ZPO). Es gibt somit keine relevante zweite Instanz. Das Verfahren der Schiedsgerichte ist abgesehen von allgemeinsten Prinzipien und einigen formalen Regeln ungeregelt. Die Schiedsgerichte sind keine ordentlichen Gerichte, eben nur Schiedsgerichte, Streitschlichtungsstellen. Von solchen Einrichtungen darf kein Staat sich vorhalten lassen, er habe das Recht verletzt und müsse Schadensersatz leisten. Das verletzt nicht nur das Rechtsstaatsprinzip, sondern, wie schon gesagt, die Souveränität. Diese steht nicht zur Disposition des Staates, der sich auf derartige Schiedsverfahren eingelassen hat, sondern ist die unaufhebbare Freiheit der Bürger.

Es ist ein Unding, daß ein Staat, der über die Rechtmäßigkeit seiner Maßnahmen in seinem Verfahren, das wegen der Souveränität jeder andere Staat akzeptieren muß, von einem Unternehmer verklagt werden kann, zumal vor einem Gericht, das nichts anderes ist als eine Schiedsstelle ohne Gerichtsqualität. Daß derartige Verfahren in vielen Investitionsschutzabkommen, auch von Deutschland, vereinbart sind, macht die Sache nicht besser. Das rechtfertigt schon deswegen nicht ein solches Abkommen mit den USA und mit Kanada, weil das Staaten mit anerkannter, jedenfalls tragfähiger Rechtsprechung sind. Diese Abkommen wurden eingesetzt, um einen minimalen Rechtschutz gegenüber Staaten zu erreichen, in denen weder Vertragstreue noch Rechtsschutz zu erwarten war. An sich ist eine solche Vertragspolitik mit völkerrechtlicher Souveränität nicht vereinbar und mißachtet die Gleichheit der Staaten, ein Grundprinzip des Völkerrechtsverkehrs (Art. 1 Nr. 2 und Art. 2 Nr. 1 der UNO-Charta). Aber die schwachen Staaten haben sich das vorschreiben lassen, um in den Genuß von Investitionen zu kommen. Die Gegenseitigkeit solcher Abkommen war und ist eine Farce, weil Investitionen meist nur in eine Richtung geflossen sind, von den Unternehmen kapitalstarker Staaten zu den hilfsbedürftigen schwachen Ländern. Warum hätten sich die Unternehmer auf die Investitionen einlassen sollen, wenn sie sich der Willkür eines Staates aussetzen, dessen Rechtssystem rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügt. Aber die Lage im Falle des TTIP und des CETA ist gänzlich anders. Die beteiligten Staaten bieten den Investoren einen entwickelten Rechtsschutz in vielstufigen, anspruchsvollen Gerichtsverfahren. Vor allem können aber die Staaten ihren Bürgern gegenüber nicht hinnehmen, daß ihr Rechtssystem von Anwaltsgremien überlagert, sprich unterminiert wird. Die Staaten müssen auch die Souveränität ihrer Bürger als deren Freiheit schützen. Freiheitlichkeit ist Rechtlichkeit. Die gewährleistet nur die Bürgerschaft selbst, organisiert in ihrem Staat. Alles andere ist Fremdbestimmung gegen die Autonomie des Willens als die Freiheit, die durch Vereinbarungen mit anderen Staaten nicht gerechtfertigt werden kann. Unternehmen haben immer schon Interesse daran gehabt, sich in Handelssachen der staatlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen. Das geht keinesfalls zu Lasten des Staates selbst.

Karl Albrecht Schachtschneider, Berlin, August 2014

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